Sechs Rotenburger Gebete 2018 – Rückblick

Sechs „Rotenburger Gebete – Schöpfung bewahren „
Ein Rück- und Überblick Juni bis November 2018
Wilfried Wildeboer

Nach dem Vorbild der Gorlebener Gebete, die im nächsten Jahr das 30-jährige Bestehen begehen und von vielen Institutionen anerkannt werden und maßgeblich dazu beitragen, den Widerstand gegen die Risiken der Atomindustrie wachzuhalten, haben wir auf Initiative der BI „Frack-loses Gasbohren“ im Landkreis Rotenburg (Wümme) den Ökumenischen Arbeitskreis „Rotenburger Gebete – Schöpfung bewahren“ gegründet, offen für alle Glaubensrichtungen, auch für Atheisten, um auf die möglichen Gefahren der Erdgasindustrie hinzuweisen.

Die von der Atomindustrie verursachten langfristigen Folgen veranschaulichte anlässlich des 30. Jahrestages des Reaktorunfalls in Tschernobyl die damalige Brockeler Pastorin Ina Jäckel in einem Artikel der Rotenburger Kreiszeitung vom 25. April 2015: „Hätten die Babylonier vor rund 5.000 Jahren statt des berühmten Turms zu Babel ein AKW gebaut und nur vier Jahre betrieben, dann hätten sie vier Jahre lang Freude an ihrer Energie gehabt – und uns Atommüll hinterlassen, der heute immer noch strahlen würde.“ Ebenso beschert uns die Erdgasindustrie Folgeschäden und Altlasten, mit denen noch viele Generationen nach uns zu tun haben werden.

Die Rotenburger Gebete sind e i n Beitrag in unserer Region. Eventuell reicht das aber nicht und es muss zu einer noch viel größeren Bewegung werden. Am Hambacher Forst sehen wir, dass ein breiter Protest der Bevölkerung doch bewirkt, die verantwortlichen Politiker zum Umdenken zu bewegen. Wirtschaftsinteressen sind nicht alleine ausschlaggebend, wenn Natur und die Umwelt dabei Schaden leiden. Insbesondere aktiv sind die beiden Sottrumer Pastoren Meyer und Adam sowie Pastor i.R. Werner Hagedorn. Diese Aktion findet die Zustimmung des Kreiskirchentages. Derzeit findet jeweils am 1. Sonntag im Monat ein Gebet an verschiedenen Bohrstellen statt mit unterschiedlichen „geistlichen“ und „weltlichen“ Rednern. Pastor Hagedorn sieht in den Rotenburger Gebeten einen dreifachen Sinn:
1.) Christinnen und Christen zusammen mit Menschen, die dafür offen sind, schauen bei dem, was in ihrer Umgebung passiert, hin. Wir wollen uns wach zeigen und nicht schlafend. Wieviele Bürgerinnen und Bürger wissen denn Genaueres über die Zahl der Bohrstellen, Versenkbohrstellen, Deponien und der vorgefallenen Unregelmäßig-keiten in ihrer unmittelbaren Umgebung?
2.) Christinnen und Christen lassen sich von ihrem Glauben an den Schöpfer des Himmel und der Erde in die Verantwortung für diese Schöpfung rufen. Und zwar dort, wo sie sie gefährdet sehen.
3.) Es gibt Menschen, die sich heute bereits als Verlierer und als Opfer eines verantwor-tungslosen Umgangs mit der Erde erleben. Ihre Grundstücke und Häuser sind unverkäuflich geworden, weil ohne Wert. Und viel schlimmer: Sie sehen für sich allen Grund, ihre Krebserkrankung auf die schädlichen Auswirkungen und Folgen der Erdgasförderung zurückzuführen. Mit den Rotenburger Gebeten wollen wir ihnen gegenüber zum Ausdruck bringen: Wir erklären uns öffentlich mit euch solidarisch.

Einige Passagen von „geistlichen“ und „weltlichen“ Rednern der bisherigen Gebete:

Erstes „Rotenburger Gebete – Schöpfung bewahren“ an der Bohrstelle Bötersen Z 11 am 03.06.2018 in Waffensen
Pastor Dietmar Meyer aus Sottrum legt die Schöpfungsgeschichte wie folgt aus: „Macht euch die Erde untertan“ – damit sei nicht gemeint, dass Menschen für einen kurzzeitigen Profit die natürlichen Lebensgrundlagen vernichten und die von Gott geschaffene Natur von Menschenhand zerstören. Er vergleicht die Erde mit einem lebenden Wesen, dem wir mit Achtung und Respekt, ja Mitgefühl begegnen sollten.
Ute Höfer-Horn spricht im Sinne ihres verstorbenen Mannes und Gründers der BI „Frack-loses Gasbohren“ Hartmut Horn:
Ein klares „NEIN“ gegen die Zerstörung unserer Schöpfung und die Gefährdung unseres Trinkwassers hier in der Rotenburger Rinne! Wir wollen unsere Gesundheit erhalten, Zer-störung und Leiden verhindern. Wir wollen uns, unsere Kindeskinder und die Mutter Erde schützen. Deshalb unterstütze ich den gewaltlosen, friedlichen Widerstand, in froher Hoffnung und Gewissheit, dass dies uns gelingen wird.“
Bürgermeister Hartmut Leefers trägt vor:
„Als vor 30 Jahren die Erdgasförderung in unserem Landskreis begann, war in der Öffent-lichkeit nur Positives zu vernehmen. Größtes Vertrauen in Staat und Industrie, Forschung und Wissenschaft ließen unsere Herzen höher schlagen. Ja, es kam fast so etwas wie Gold-gräberstimmung auf. Wo wird das nächste Gasfeld erkundet? Wohin kommt der nächste Bohrturm? Erdgasförderzins und Steuereinnahmen waren die Triebfedern, die uns als die Betroffenen vor Ort die Sensibilität für Risiken und Gefahren in den Hintergrund rücken ließen. Es hat lange gebraucht – vielleicht zu lange – bis sich das Bewusstsein bei uns geän-dert hat. Nicht alles, was technisch – physikalisch – möglich ist, ist gut!! Größtes Vertrauen in Staat und Industrie, Forschung und Wissenschaft schwand und schwindet Tat für Tag unse-rem Bewusstsein. Boden, Luft und Wasser. Die Elemente, denen wir unser schönes Leben in unserer schönen Natur verdanken, sind gefährdet. Die Beweislast dafür hat sich in den ver-gangenen Jahen insbesondere in jüngster Zeit angehäuft, so dass mein Vertrauen in Staat und Industrie, in Wissenschaft und Forschung eingeschränkt ist. Ich stehe auch als Vorsitzen-der des Arbeitskreises Erdöl- und Erdgasförderung mit den Bürgerinitiativen und den Kirchen auf der gleichen Seite. Trinkwasserschutzgebiete und Vorsorgegebiete für die Trinkwasser-gewinnung sind besonders schützenswerte Güter und dürfen nicht gefährdet werden. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, ist es zu spät.

Zweites Rotenburger Gebet – Schöpfung bewahren“ am 01.07.2018 an der Bohrstelle Bötersen Z6 am Grafeler Damm in Rotenburg
Pastor i.R. Werner Hagedorn sagt: „’Schöpfung’ ist nicht bloß das, was wir bewahren sollen. ‘Schöpfung’ ist auch das, was uns bewahren wird. ‘Schöpfung’ heißt, dass unvorhergesehe-nes Neues entsteht, wo vorher Nichts war. Neu entstehen sehe ich das Engagement von Menschen, die Mut fassen, und die sich zusammentun zu gemeinsamem Aufklären und gemeinsamem Widerstand.“

Drittes Rotenburger Gebet – Schöpfung bewahren“ an der Betriebsanlage von Exxon Mobil in Bellen am 5.8.2018
Pastor Ralf Altebockwinkel predigt: „Hier in Bellen merken wir, dass der Traum von Energie, von Fortschritt seine Opfer fordert. Die Liste ist lang, vieles ist schon ans Licht gekommen, vor dem lange Zeit die Augen verschlossen wurden – auf Seiten der Konzerne und auf Seiten der lokalen Politiker und Anwohner, die auf Beschwichtigung vertrauten. Der Verdacht liegt nahe, dass erhöhte Krebsraten und Todesfälle in unserer Region auf die Belastung der Luft mit Schadstoffen von den Bohrungen zurückzuführen sind. Aber hier in Bellen allerdings kön-nen wir es nicht mehr übersehen. Hier gilt es einzuschreiten, aber nicht nur den kleinen Kampf gegen einen großen Konzern zu führen – sondern auch das große Ganze sehen, in dem jeder einzelne von uns selbst mit verstrickt ist. Es geht nicht nur um die Sehnsucht von Exxon nach Profit, es geht um unser aller Sehnsucht nach Heil.“
In seiner Fürbitte spricht er aus:
Gott, wir bitten dich:
Für Menschen, die in der Nähe von Gasbohrungen wohnen und in Sorge um ihre Gesundheit sind, dass sie Wege finden, ihre Interessen hörbar zu machen und den Mut haben, Transpa-renz und Achtung einzufordern.
Für Menschen in Verantwortung in der Politik, dass sie weise und nachhaltige Entscheidungen treffen für Mensch und Umwelt.
Für Menschen, die in den Energiekonzernen in der Verantwortung stehen, dass sie aufrichtig und verantwortungsbewusst handeln und sich nicht blenden lassen von Profit und persönli-chem Ehrgeiz.
Für alle Menschen, die mit dem Thema befasst sind – für die Anwohner, für die im Protest Engagierten, aber auch für die Mitarbeiter der Energiekonzerne, dass gegenseitiger Respekt und ein sachlicher Austausch vorherrschen.
Für uns alle, dass wir erkennen, wo wir uns selbst schuldig machen und verbotene Früchte in Anspruch nehmen, die unserer Erde, uns selbst und unseren Nachfahren schaden. Schenke uns dein Heil und deine Zufriedenheit, schon in diesem Leben, dass wir gestrost auch Verzicht üben können.

Viertes „Rotenburger Gebet – Schöpfung bewahren“ am 02.09.2018 an der Versenkbohrstelle Wittorf Z 1
Pastor Klaus Priesmeier mahnt, daß alle ihre Verantwortung ernster nehmen: „Und so m-chen alle ihren Job, damit’s läuft. Und bei Ihnen was hängen bleibt vom Erfolg, vom Silber und Gold, vom Glanz und Vergnügen und ein wenig Sicherheit. Sagt man aber nicht. Man sagt, es gibt doch Bedarf. Man sagt, das bringt Wachstum. Man sagt, das schafft Arbeitsplätze. Man sagt, Qualitätsstandards haben wir auch. Wir wollen doch gut sein. Ja, gut, Das sind wir doch, oder?“
Mir graut vor einem Leben, in dem ich nur meinen Job mache. Mir graut vor einem toten Leben. Jesus sagt: Gott ist ein Gott der Lebendigen. Die hören und sehen und tönen und bewegen sich. Und er schafft, was er will. Und er schafft das auch mit uns und durch uns, seine Menschen. Und das sollen wir dann auch im Blick haben und in unseren Händen. Nicht nur den Job machen und ein gutes Leben haben, sondern gut leben und lebendig sein. Das wäre was.“

Als zweiter Redner schildert Landwirt Hans-Joachim Euhus, auf dessen Grund und Boden sich die Versenkbohrstelle befindet, Jahrzehnte persönlicher negativer Beeinträchtigungen durch das Verhalten der Industrie und Behörden: Pannen, Umweltschädigungen, Vertuschung und mangelnde Aufklärung. „Sie machen letztendlich was sie wollen, und Du kannst nicht dagegen tun!“

Fünftes „Rotenburger Gebet – Schöpfung bewahren“ am 07.10.2018 an der Versenkbohrstelle Sottrum Z 1
Pastor i.R. Werner Hagedorn sagt u.a.: Konzerne reißen sich die Güter der Erde unter den Nagel und die Arbeitskraft von Menschen, um Kapital daraus zu machen. Auch 200 Jahre nach der Geburt von Karl Marx erscheint diese Konstruktion den meisten Menschen gott-gegeben, unabänderlich. Viele werden noch aufstehen, bis das Wirklichkeit wird: „Dem unnennbaren GOTT gehört die Erde und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen!“

BI-MItglied Wilfried Wildeboer führt aus:
In der Versenkbohrstelle Sottrum Z 1, ursprünglich eine Gasbohrstelle, aus der in 4.500 m Tiefe Erdgas gefördert wurde, wird seit 1991 das mit dem Erdgas hochkommende giftige Lagerstättenwasser nunmehr in einer Tiefe von ca. 800 m verpresst. Lagerstättenwasser ist stark salzhaltig, enthält viele Schwermetalle wie Benzol, Chlorid und Quecksilber sowie radiokative Substanzen. Genehmigt und überwacht wird diese Anlage vom LBEG (Landes-amt für Bergbau und Energie). Bis zum jetzigen Zeitpunkt dürften weit über 1.000.000 cbm Lagerstättenwasser verpresst worden sein, nach amtlichen Angaben zum 31.12.2012 rd. 930.000 cbm.
Die flächenhafte horizontale und vertikale Ausdehnung des giftigen Lagerstättenwassers und die exakten hydraulischen Randbedingungen in der Erde sind in keiner Weise erforscht und mit den zur Verfügung stehenden verhältnismäßigen Mitteln nicht exakt beschreibbar. Ob diese für die Industrie verhältnismäßig kostengünstigste Entsorgung sicher ist und nicht das Grundwasser gefährdet, ist umstritten. Viele Resolutionen fordern schon seit dem Jahr 2013 eine unverzügliche Aussetzung der Verpressung. Die Bundesregierung hat durch ein Gesetz-gebungsverfahren dem insoweit Rechnung getragen, dass diese Art der Entsorgung nur noch bis zum Jahr 2022 Bestand haben kann. Die Industrie muss bis dahin klären, ob das Lager-stättenwasser in die Tiefe von ca. 4.500 m gespresst werden kann, wo es her kommt, oder ob eine aufwendige Sanierung oberirdisch machbar und zweckmäßig ist.
Die Menschen in unserer Region müssen sich darauf verlassen können, auch zukünftig mit unbelastetem Grundwasser versorgt zu werden, aus dem wir unser Trinkwasser beziehen.

Sechstes „Rotenburger Gebet – Schöpfung bewahren“ am 04.11.2018 an der Bohr-schlammgrube Scheeßel Z 1 „Auf dem Holler“ in Hemslingen
Auch die Politiker wollen und müssen sich mit der Problematik von Altlasten auseinander-setzen. Laut einem Zeitungsbericht der Rotenburger Kreiszeitung (Michael Krüger) vom 23.10.2018 über die Bohrschlammgrube Scheeßel Z 1 mahnt Bürgermeister Eberle aus Bothel Aufklärung an: „Hier sterben Menschen“
Das anstehende Rotenburger Gebet am 04.11.2018 soll informieren und Menschen zur Beschäftigung mit dem Thema motivieren.