Ansprache Pastor Hagedorn

Zweites „Rotenburger Gebet – Schöpfung bewahren“
1. Juli 2018 Bohrstelle „Bötersen Z6“
mit Landwirt Wilhelm Peters vom Hof Grafel und Pastor i.R. Werner Hagedorn

Liebe Freundinnen und Freunde,
wir stehen an einer der Stellen in unserem Landkreis, wo der Erde Gas entnommen wird. Mit den Rotenburger Gebeten wollen wir unseren Landkreis erkunden, um sinnlich zu erfahren, was wo getan wird. Im Vorüberfahren habe ich Anlagen wie die hier in der Landschaft aufblitzen gesehen. Näher getreten bin ich ihnen nie. Wie viele es sind, ist mir erst seit relativ kurzer Zeit bewusst. Ich muss bei mir selber einen großen Mangel an Wissen feststellen. Wohin strömt das Gas von hier aus? Wo und in was für Anlagen wird es verarbeitet, aufbereitet, gespeichert? Wohin wird es verkauft?

Die Rotenburger Stadtwerke gaben mir die Auskunft, das hier sei Gas minderer Qualität, bei uns werde Gas der höheren Qualität (H-Gas) verwendet. Das in unserm Landkreis geförderte Gas komme höchstens als Beimischung in Frage. Es komme möglicherweise zu Null Prozent bei bei den Stadtwerken zum Einsatz. Auf der Internetseite der Betreibergesellschaft lese ich: „Bereits seit 1995 fördert die Deutsche Erdöl AG mit der Bohrung ‘Bötersen Z6’ aus einer Tiefe von rund 4.700 Meter erfolgreich und störungsfrei Erdgas ausschließlich für den bundesdeutschen Markt.“

Was soll ich glauben? Kann mir der Beschluss der Niedersächsischen Landesregierung sinnvoll erscheinen, die vorhandenen Erdgasfelder seien zu nutzen und auszubeuten? Wer weist uns nach, dass das energiepolitisch angebracht und nötig ist? Wird es vielleicht nur deshalb getan, weil es den Öl- und Gasgesellschaften Gewinne bringt und als Abfallprodukt Geld auch betroffenen Kommunen und Landbesitzern? Treten wir der Sache näher, geraten wir in ein Gestrüpp von Zweifeln und Fragen. Lügen im Dienste von Wirtschaftsinteressen, Willfährigkeit der Politik und Desinteresse am Wohlergehen von Wehrlosen erleben wir heute fast als normal. Die es sich zu Herzen nehmen, werden anfällig für Resignation und Verzweiflung.

Die Rotenburger Gebete sollen helfen, Fuß zu fassen im Glauben, dass es sinnvoll ist, sich überhaupt näher einzulassen, sich nach und nach im Gestrüpp der Zweifel und Fragen einen Weg zu bahnen. Die Rotenburger Gebete sollen helfen, Fuß zu fassen in der Hoffnung, dass fairer Umgang von Menschen miteinander und ihr schonender Umgang mit den Gaben der Schöpfung doch möglich sind. „Rotenburger Gebete“ – hinzugefügt hat der Arbeitskreis: „Schöpfung bewahren“. Der Sinn scheint klar: Dem Menschen ist aufgegeben, die Erde und alles Leben auf ihr zu pflegen, zu schützen, zu bewahren. Das sei der Sinn des biblischen Auftrags, „sich die Erde untertan zu machen“ und nicht sie gnadenlos auszubeuten und zugrundezurichten. Diese Auslegung hat sich nach meinem Eindruck herumgesprochen. Aber wir müssen es noch mal ganz anders wenden. „Schöpfung“ ist nicht bloß das, was wir bewahren sollen. „Schöpfung“ ist auch das, was uns bewahren wird. „Schöpfung“ heißt, dass unvorhergesehenes Neues entsteht, wo vorher Nichts war. Gott ist jene Kraft, die dem Nichtseienden ruft, dass es sei.

Neu entstehen sehe ich das Engagement von Menschen, die Mut fassen, und die sich zusammentun zu gemeinsamem Aufklären und gemeinsamem Widerstand. Vor anderthalb Jahren war ich noch nicht beteiligt. Jetzt erlebe ich den gemeinsamen Einsatz in einer Bürgerinitiative. Neue Begegnungen und Kontakte sind entstanden, wie aus dem Nichts. Ich hätte ja weiter zu Hause bleiben können. So aber bin ich beschenkt worden mit neuen Begegnungen, mit dem Erleben von Solidarität, Zusammen-Wirken, Einander-Zuarbeiten. Ich möchte in dieser Art des Miteinanders ein Samenkorn sehen, den Keim für eine solidarische Gesellschaft, die es sich zum Ziel setzt, Schöpfung zu bewahren. Weil Menschen darauf vertrauen, dass neue Schöpfung immerzu geschieht und in jedem Augenblick möglich ist.